GHL
AT / 2012 / 16 min
* Best Short Film Edinburgh International Film Festival 2013
* Honorably Mention Vienna Independent Shorts 2013
Kamera: Johannes Hammel
zusätzliche Kamera: Lotte Schreiber
Ton und Tonmischung: Andreas Pils
Darsteller: Michael Krassnitzer
Verleih: sixpackfilm
Ein Gespenst geht um. Wie ein Phantom oder ein Außerirdischer in Menschengestalt wirkt der Mann mit Anzug und Aktentasche auf der „Insel im Herzen der Wienerinnen und Wiener“: So bewirbt sich das Gänsehäufel, Wiens meistbesuchtes Freibad, durch das Darsteller Michael Krassnitzer verloren in der winterlichen Schließungszeit streift, während er in ernstem Ton entschuldigende Botschaften via Handy deponiert: „Anne, ich habe nur das getan, was die Kunden von mir wollten . . .“ In GHLfügt Lotte Schreiber dem präzisen Blick aufs Konkrete ihrer bisherigen Architekturstudien eine deplatzierte Erscheinung aus der unwirklich abstrakten Gegenwart hinzu: Vielleicht ein ferner Wiedergänger von Alain Delons Börsenmakler in Michelangelo Antonionis L´eclisse (1962), dessen einsilbige Entfremdung vom hochtrabenden Kauderwelsch der angeblichen Erklärungen für die krisengebeutelte Gegenwart ersetzt worden ist. „Das System ist außer Kontrolle“ oder „Ich bin der Anti-Midas“ heißt es im Telefonbotschaften-Textkonvolut, das Motive von Rousseau über Marx und Engels bis zu Jean Baudrillard und William Golding aufgreift: „Trugbilder, sinnleere Spektakel“.
Fast als Fremdkörper bewegt sich der offenbar reumütige Manager durchs Gänsehäufel, als wüsste er um seine Opposition zu dessen Geschichte. Von der Entdeckung des Orts als alternativen Lebensraum durch Naturheilkundler und Nacktbadefreund Florian Berndl um 1900 bis zum Wiederaufbau nach der vollständigen Zerstörung durch Bomben im Zweiten Weltkrieg als populäres Paradies für Durschnittsbürger, eigene Kabinenstadt inklusive: eines der ersten großen Wiederaufbauprojekte und architektonisches Schlüsselwerk des Nachkriegswien (ein Prestigeauftrag für Max Fellerer und Eugen Wörle, beide Veteranen der „zweiten Wiener Moderne“ der Zwischenkriegsjahre). Aber die sachlich-eleganten Horizontalen der funktionalen, klaren Betonarchitektur werden überragt von den Bürohochhäusern auf dem anderen Ufer, auf denen Johannes Hammels Kamera eingangs am Ende einer meditativen Fahrt über Wasser haften bleibt. Der Abgesandte von drüben streift durch die rhythmisch komponierten, souverän kadrierten Ansichten des Bades, seiner visuell frappanten, manchmal vielsagenden historischen Details (die Aufschrift „Nur für Männer“ auf einem Durchgang erzählt von der Zeit der Geschlechtertrennung), akzentuiert von Stefan Némeths elektronischen Sounds. Manchmal lässt sich der Anzugsträger erschöpft nieder, anderswo fingert er ungeschickt eine Tschick aus seinem „Smart Export“-Packerl, als Kontrapunkt Spuren eines anderen Lebens – angeschwemmtes Kinderspielzeug; drei Gänse, die sich wie in einer Choreografie bewegen; rapide eingeschnittene Videobilder aus der Hochsaison: die grellen Farben, das Sommerlicht in krassem Gegensatz zur melancholischen Endzeitstimmung der Filmaufnahmen.
„Hat man einmal angefangen zu denken, kann man nicht damit aufhören“, sagt der Mann irgendwann in seinem Monolog zwischen Wasserplätschern und Vogelkreischen: Als wär´ ein verlorener Suchender, ein wenig wie die Wiener Westentaschenvariante von Robert Pattinson als lebendem Toten der Wall Street in David Cronenbergs Endspiel-Komödie Cosmopolis (2012). Ganz in diesem Sinne endet GHL mit einer bösen Pointe: Zurück ins Leben, Tisch im Szenelokal reserviert, alles wie bisher. Soviel zum Gespenst der Freiheit.
(Christoph Huber) |